Erfurt/Bamberg – Ein bisschen ist es wie in der U-Bahn – nur schneller, viel schneller. Mit Tempo 300 in der Spitze rast der ICE Berlin-München auf der Neubaustrecke zwischen Erfurt und dem fränkischen Ebensfeld bei Bamberg von Tunnel zu Tunnel durch den Thüringer Wald.
Die beiden längsten der insgesamt 22 Röhren auf diesem Abschnitt haben die Experten 8,3 sowie 7,4 Kilometer durch den Berg gesprengt. Das Erlebnis, quasi unter dem Kamm des Mittelgebirges durchzusausen, haben Reisende mit dem Fahrplanwechsel am 10. Dezember. Bereits zwei Tage früher wollen Bund, Länder und Bahn auf den Bahnhöfen feiern.
Immerhin ist die letzte, 107 Kilometer lange Lücke zwischen Thüringen und Bayern auf der schnellen Nord-Süd-Magistrale geschlossen – einem Verkehrsprojekt Deutsche Einheit (VDE 8) mit Neu- und Ausbauabschnitten. Die Fahrzeit auf den 623 Kilometern zwischen Berlin und München sinkt nach Angaben der Deutschen Bahn für Fahrgäste im ICE-Sprinter um zwei auf knapp vier Stunden. Mit dem normalen ICE seien sie knapp viereinhalb Stunden zwischen den beiden Metropolen unterwegs.
Die ICE-Züge seien damit eine «sehr ernsthafte Alternative gegenüber dem Flieger», erwartet Bahnchef Richard Lutz. Das Unternehmen hat ein ambitioniertes Ziel: Die jährliche Fahrgastzahl zwischen Berlin und München soll sich von bisher etwa 1,8 Millionen auf bis zu 3,6 Millionen verdoppeln.
Doch bei aller Euphorie ob der Tempovorteile durch das vor mehr als 20 Jahren begonnene und insgesamt etwa zehn Milliarden Euro teure Megaprojekt: Baustellen bleiben – nicht nur am Nadelöhr Bamberg in Bayern, das nach den Worten eines Bahnsprechers voraussichtlich nicht vor Ende des nächsten Jahrzehnts geöffnet werden kann. «Dort ruht das Planfeststellungsverfahren.» In Bayern geht in den nächsten Jahren der
Streckenausbau in Richtung Nürnberg weiter – noch müssen die schnellen Züge hinter der Landesgrenze auf Tempo 160 drosseln.
Einige Städte, darunter Thüringens Wirtschafts- und Wissenschaftszentrum Jena, fühlen sich zudem abgehängt vom ICE-Verkehr. Andere leiden unter den Schallschutzwänden entlang der Schnelltrasse: Seinen Ort Ebensfeld vergleicht Bürgermeister Bernhard Storath zur Illustration schon mal mit Berlin zu Zeiten der Mauer.
Als Gewinner des Großprojekts, für das Thüringen nach einem Baustopp Ende der 1990er Jahre in Vorleistung gegangen war, gilt Erfurt. Die Landeshauptstadt wird sich nach Meinung von Ministerpräsident Bodo Ramelow als Kongressstadt profilieren. «Thüringen wird Deutschlands schnelle Mitte. Wir werden mit diesem Standortfaktor massiv werben», kündigt der Linke-Politiker an. Gleichzeitig will Ramelow, dass Jena in den nächsten Jahren zumindest als IC-Kreuz den Anschluss nicht verliert.
Rund 80 Fernverkehrszüge halten laut dem thüringischem Verkehrsministerium von kommender Woche an täglich in der Landeshauptstadt. Die Bahn verspricht: «Künftig können Sie ab Erfurt stündlich in alle Himmelsrichtungen reisen.» Wie an den anderen ICE-Knoten Nürnberg oder Leipzig fragen sich jedoch Reisende, wie gut die schnellen Verbindungen mit dem Nahverkehr verknüpft werden. Auch der Fahrgastverband Pro Bahn sieht noch Defizite.
Der Anschluss der Regionen sei nicht immer gut gesichert, meint Karl-Peter Naumann von Pro Bahn. Als Beispiele nennt er Erfurt oder Nürnberg. Kritik kommt auch vom BUND – er nennt die Trasse ein Prestigeprojekt auf Kosten von Natur, Landschaft und Mobilität im ländlichen Raum.
Zumindest die Züge sollen möglichst wenig Lärm machen, nachdem es die Bahn beim Tunnelbau durch Sprengungen im Thüringer Wald richtig krachen ließ. An den Portalen der längsten Tunnel seien Schallschutzhauben angebracht worden, die die Luft verwirbeln, erzählt ein Bahnsprecher. «Das verhindert bei dem hohen Tempo den Knall am Tunnelausgang.»
(dpa)