«Und alle essen Bockwurst» – 100 Jahre Mitropa

Berlin (dpa) – Grüner, brauner, blauer Rand, Tasse, Kännchen, Zuckerzange: Die Mitropa ist überall. Besser gesagt: Das Geschirr, mit dem die Mitteleuropäische Schlaf- und Speisewagen AG (Mitropa) jahrzehntelang Kaffee und Hackbraten servierte. Im Internet handeln Sammler mit den Keramikschätzen von einst – denn die Mitropa selbst ist längt untergegangen.

100 Jahre nach ihrer Gründung bleibt von dem Konzern, der mal Zehntausende Beschäftigte hatte, nur die Erinnerung: an Rinderrouladen im Speisewagen, an die Trockenhaube beim Bahnhofsfriseur und Nächte in Mitropa-Hotels an Flughäfen und Autobahnen.

Heute sagt kaum noch jemand «Speisewagen», die Deutsche Bahn spricht von «Bordrestaurants» und «Bordbistros». Sein Nachtzug-Geschäft gibt der Bundeskonzern jetzt ab, doch immerhin: Inzwischen besinnt sich die Deutsche Bahn wieder der Bedeutung des Essens auf Rädern. So wie vor 100 Jahren wird es aber nicht mehr werden.

Am 24. November 1916 wurde die Mitropa gegründet. Über die Jahrzehnte wuchs die Mitteleuropäische Schlaf- und Speisewagen AG zu einem Konzern heran, der Reisende in Deutschland und teilweise Österreich und der Schweiz versorgte. Der Schlaf- und Speisewagen betrieb, Hotels und Raststätten. Die Suche nach den Überbleibseln des Unternehmens gestaltet sich schwierig.

Die Bahn hat die Mitropa vor zwölf Jahren mit noch knapp 2000 Beschäftigten verkauft. Die Namensrechte gehören heute der Eschborner Gesellschaft
Select Service Partner (SSP) – einem Unternehmen, das kaum jemand kennt, obwohl jeden Tag Zehntausende Bahn- und Flugreisende bei ihm essen oder einkaufen: Es führt als Franchisenehmer Restaurants von Burger King bis Pizza Hut.

Denn die Mitropa und ihre bordeauxroten Wagen sind zwar weg. Doch die Bahnhöfe sind noch da – und angesichts wachsender Reisendenzahlen sind das gute Standorte, auch wenn deutsche Bahnpassagiere vergleichsweise knauserig sind, wie die britische Konzernmutter im Geschäftsbericht bemerkt. «Wir repräsentieren einige der weltweit bekanntesten und vertrauenswürdigsten Gastronomiemarken», betont SSP. Die Mitropa aber wird als «inactive company» geführt.

Die Kaffeekännchen und Alulöffel von einst, die Speisekarten und Reklameschilder gibt es noch. Sie finden sich in Inseraten und Ausstellungen, von denen manche nostalgisch sind, andere auch ostalgisch. Denn im geteilten Deutschland gab es die Mitropa nur in der DDR. Die Bundesbahn im Westen hatte ihre eigene Speisewagengesellschaft. Die Mitropa als einer der größten DDR-Betriebe, bekochte sogar Ausflugsschiffe und Flugzeuge. Zum Ende der DDR hin aber gab es immer häufiger Kritik an Angebot und Service.

Die Band Goyko Schmidt punkte sich in den 90ern durch die verblichene Mitropa-Welt und ließ sie nicht gut aussehen: mit warmem Bier, bitterem Kaffee, Stasispitzeln und – immerhin – Honecker-Witzen. Refrain: «Und alle essen Bockwurst.»

Den besonderen Klang ihres Namens hatte die Mitropa vor dem Zweiten Weltkrieg erworben. Da gab es Rheinlachs im berühmten Rheingold-Zug, Clubsessel und Silbergeschirr. Mitropa servierte auch bei der Lufthansa und der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft. Ein dunkler Fleck auf ihrer Geschichte bleibt der Ausschluss jüdischer Gäste aus den Speisewagen in der Nazi-Zeit.

Nach der Wende schien es lange, als schenke die Bahn der Gastronomie an Bord nur wenig Beachtung. Die Reisenden haben sich daran gewöhnt, dass Kühlschränke und Kaffeemaschinen häufig ausfallen. Wiederholt überlegte der Konzern, die Speisewagen abzuschaffen.

Doch seit sich der Bahn-Vorstand mit dem Programm «Zukunft Bahn» gegen die Konkurrenz durch Fernbusse, Billigflieger und das Auto stemmt, besinnen die Manager sich darauf, dass Komfort Kunden bringt. Und dazu gehört das Speisen auf Reisen. Nun sollen Entstörungsteams verhindern, dass ein ICE mit geschlossenem Bordrestaurant durch die Republik fährt – was auch den Umsatz fördern soll. Die 2400 Beschäftigten in der Bordgastronomie verkauften im vergangenen Jahr Speisen und Getränke für 78 Millionen Euro. Das neue Flaggschiff ICE4 hat selbstverständlich ein
Bordrestaurant – denn da kann kein Fernbus mithalten.

Der große Glanz wird in die Speisewagen aber nicht zurückkehren. Man müsse mit der Zeit gehen, heißt es bei der Bahn. «Vor 100 Jahren waren es die weiß eingedeckten Tische mit Silberbesteck», sagt eine Sprecherin. «Heute ist es ein Restaurant für alle.» Gekocht wird an Bord schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Man wärmt auf. Bodenständig ist das Angebot auch heute: Schweinebraten, Klopse, Maultaschen. Zu den beliebtesten Gerichten zählen Chili und Curry-Wurst. Bei der Bahn heißt es, Geschäftsleute nähmen gern Eintopf, Frauen Salat.

Auch Angela Merkel hatte einmal ihren besonderen Mitropa-Moment. Leicht verlegen steht sie auf der Bühne, im wehenden Sommerrock, und gibt die Julia aus «Romeo und Julia». Ihr Gegenüber schmachtet: «Ich liebe Dich – und überlasse Dir meine letzte Mitropa-Kaffeemaschine.» Vor 25 Jahren gewann Hape Kerkeling die heutige Bundeskanzlerin für diesen Klamauk. Auch schon wieder lange her.

(dpa)