Türkei: Wem das Wegbleiben der Deutschen wirklich schadet

Alanya (dpa) – Der Kleopatra-Strand in Alanya gehört zu den schönsten an der türkischen Riviera. Ins Auge fällt die Tourismuskrise dort nicht sofort: Der Strand ist gut besucht, viele Türken verbringen die Sommerferien an der Küste, auch ausländische Urlauber aalen sich in der Sonne.

Bei ihnen handelt es sich fast durchweg um Russen. Alanya war einst eine Hochburg der Deutschen, von denen viele die Türkei von Recep Tayyip Erdogan inzwischen meiden. Damit schaden sie in erster Linie nicht dem Präsidenten, sondern Anhängern der Opposition.

Die Villa Turka liegt am Hang unterhalb der imposanten Burg von Alanya, ganz in der Nähe des Kleopatra-Strandes. Das malerische Hotel hat nur zwölf Zimmer, und an dem Familienbetrieb lässt sich die Krise ganz gut festmachen: Hier stiegen einst vor allem kulturell interessierte Urlauber aus dem Westen ab, die die Bettenburgen an der Küstenstraße zwischen Antalya und Alanya meiden. Bis vor zwei Jahren waren 80 Prozent der Gäste aus Europa, sie kamen vor allem aus Deutschland, Großbritannien oder aus Skandinavien. Inzwischen stellt diese Gruppe nur noch 10 bis 20 Prozent.

Insgesamt seien die Buchungen um 40 Prozent zurückgegangen, sagt der Sohn der Betreiberfamilie, der 33-jährige Cem Simsek. «Wegen der niedrigen Belegung haben wir die Preise gesenkt.» Übernachtungen seien nun um 30 bis 40 Prozent billiger, um mehr türkische Gäste anzulocken. Der Profit sei um 80 Prozent eingebrochen. Das war Ende Juni fast einen Monat vor den verschärften Reisenhinweisen.

Immerhin machen die Simseks noch Gewinn – manche Hotels und Restaurants mussten ganz schließen. Einige Ketten öffnen nur eines ihrer Strandhotels. Andere Hotels sperren einen Teil ihrer Zimmer ab und vermieten nur ein kleineres Kontingent. Das alles spart Personal und Kosten.

Zwar berichteten Konzerne wie Tui, Thomas Cook oder DER Touristik von steigenden Last-Minute-Buchungen aus Deutschland: Südeuropa ist voll und teuer, die Türkei ist leer und noch billiger als früher – was nicht nur an den gesenkten Preisen, sondern auch am Verfall der Landeswährung Lira liegt.

Den Anstieg meldeten die Konzerne allerdings vor den verschärften Reisehinweisen des Auswärtigen Amtes – und vor der Warnung von Außenminister Sigmar Gabriel, «dass deutsche Staatsbürger in der Türkei vor willkürlichen Verhaftungen nicht mehr sicher sind». Auch wenn die konkreten Folgen noch nicht absehbar sind: Positiv wird sich das ganz sicher nicht auf die deutschen Besucherzahlen auswirken.

Die Zahl der russischen Urlauber hat sich dagegen vervielfacht, seit Erdogan und Kremlchef Wladimir Putin vor einem Jahr ihren Streit um den Abschuss eines russischen Kampfjets beilegten. Inzwischen kommen sogar mehr Russen als vor der Krise. Allerdings handelt es sich bei ihnen fast ausschließlich um Charter-Touristen. In der Villa Turka und ähnlichen Boutique-Hotels steigen so gut wie keine Russen ab.

Und bei den Deutschen – die in diesem Jahr von den Russen als größte Urlaubergruppe abgelöst wurden – sieht es düster aus. Nach der jüngsten Statistik des Tourismusministeriums in Ankara reisten in diesem Jahr bis einschließlich Mai knapp 864 000 Deutsche in die Türkei. In den ersten fünf Monaten 2016 waren es noch 1,16 Millionen gewesen, im selben Zeitraum 2015 sogar 1,55 Millionen. Die Zahlen brachen ein, als im Sommer 2015 die Gewalt eskalierte. Zahlreiche Terroranschläge erschütterten das Land und schreckten Besucher ab.

Allerdings liegt der letzte schwere Anschlag in der Türkei mehr als ein halbes Jahr zurück, und die Touristengebiete an der Küste blieben vom Terror bislang ohnehin verschont. Tourismusexperten führen das Ausbleiben der Deutschen inzwischen auf politische Gründe zurück: Sie wollten ihr Geld nicht zu Erdogan tragen, erst recht nicht, seit der Präsident die Deutschen im Frühjahr mit Nazi-Vergleichen überzog. Die Linke regte im März einen Tourismus-Boykott wegen Erdogan an.

Das Verfassungsreferendum im April zeichnete eine klare politische Landkarte der Türkei: Die gesamte Mittelmeerküste stimmte gegen das Präsidialsystem und damit gegen Erdogan. Der Besitzer eines kleinen Hotels in Antalya, der unter dem Ausbleiben der Deutschen leidet und anonym bleiben möchte, sagt, natürlich sei Erdogan keine gute Werbung.

«Aber wir sind doch die Opposition gegen Erdogan. Die ist es, die Ihr bestraft, wenn Ihr nicht mehr kommt.» Eine Vermieterin von Ferienwohnungen beklagt, «dass diejenigen, die dieses System ablehnen, jetzt sogar doppelt bestraft werden. Dabei bräuchten die besonders jetzt das Gefühl: Die Europäer stehen zu uns.»

Ein Kellner in einer Pension an der Küste sagt: «Wir können Erdogan nicht ausstehen. Den kümmert es nicht, dass die Touristen aus dem Westen wegbleiben. Der sagt, wir haben unsere eigenen Touristen und wir haben die Russen.» Russen würden aber über ihre Pauschalreisen hinaus kaum Geld ausgeben. Die Deutschen, die noch kämen, seien meist Urlauber, die die Türkei schon lange kennen. «Und die erzählen uns, sie würden zu Hause angefeindet, weil sie in die Türkei fahren.»

(dpa)