Heidelberg – Ein erbitterter Streit tobt unterhalb der berühmten Heidelberger Schlossruine und es ist ein Konflikt, der in die Idylle der Romantikstadt am Neckar nicht zu passen scheint.
Es ist ein Streit, bei dem die einen von einem quirligen Nachtleben sprechen und die anderen vom Gestank von Urin und Erbrochenem. Viele Lokale in der historischen Altstadt leben von Nachtschwärmern, und genau darum geht es: Sollen Kneipenbesucher und Feierwillige in Heidelberg weiter bis in den frühen Morgen um die Häuser ziehen?
Ja, sagen Studenten und einige Lokalpolitiker – die Sperrstunde sei ein Relikt aus alten Zeiten. «Wer im Zentrum wohnt, muss Partylärm ertragen können», heißt es im Lager der Gegner. Keinesfalls, betonen dagegen genervte Anwohner. Sie beklagen stundenlange Unruhe. Eine Lösung muss her – aber die Fronten scheinen verhärtet. In einem Protestmarsch mit einem symbolischen Sarg trugen unlängst rund 200 Demonstranten das «Heidelberger Nachtleben» demonstrativ zu Grabe.
«In Sachen Sperrzeiten wurde in den letzten Jahren einiges probiert», sagt der Heidelberger Stadtrat Christoph Rothfuß (Grüne). Leider hätten die «Feldversuche an den Bewohnern» die Lage nicht entzerrt. Für seinen Kollegen Jan Gradel (CDU) steht fest, dass eine neue Sperrzeitenverordnung auch von lärmreduzierenden Maßnahmen flankiert werden muss. So zerrissen die Politikszene in Heidelberg auch ist, in einem ist sie einig: Die angestrebte Lösung muss tragfähig sein.
Der Linken-Politiker Fabien Giese geht davon aus, dass kürzere Öffnungszeiten das Problem nur befeuern. «Dann steht man hier um 1.00 Uhr rum und weiß nicht, was man machen soll.» Dass Nachtschwärmer dann auf dumme Ideen kommen könnten, hält Giese für wahrscheinlich.
Als Zentrum der Feiernden gilt die Untere Straße, wo sich Lokal an Lokal reiht. Bis vor Kurzem erlaubte die
Stadtverwaltung hier eine Öffnung der Gaststätten bis 2.00 Uhr und am Wochenende bis 4.00 Uhr. Wegen des Lärms klagten die Anwohner gegen die Zeiten – mit Erfolg.
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) kippte die Ende 2016 vom Gemeinderat beschlossene Verordnung im März. Die Interessen der Anwohner hätten zurückstehen müssen, während die Belange der Touristen und Gastronomen Berücksichtigung gefunden hätten, urteilte der VGH. Der Schutz der Nachtruhe und die Verhinderung von Lärm seien wichtig.
Die Verwaltung will die Öffnungszeiten nun verkürzen. Unter der Woche sollen die Lokale in der Altstadt bis 1.00 Uhr und am Wochenende bis 3.00 Uhr öffnen dürfen. Der Gemeinderat zeigt sich aber uneins. Die FDP fordert am Wochenende Öffnungszeiten bis 5.00 Uhr, die CDU bis 4.00 Uhr und die Linke unter der Woche bis 2.00 Uhr.
Für Oberbürgermeister Eckart Würzner ist das ein Unding. «Der Gemeinderat ist frei in seiner Entscheidung – er darf aber nicht über die bisherige Regelung hinausgehen. Das würde dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs widersprechen», sagt der parteilose Politiker. Bei der mit Spannung erwarteten Gemeinderatsitzung wurde die Abstimmung über eine neue Verordnung am Donnerstag aber vertagt.
Ein Blick ins Land zeigt, dass die Sperrzeiten in Baden-Württemberg durchaus ähnlich gehandhabt werden. In Stuttgart ist das nächtliche Feiern in Kneipen werktags bis 3.00 Uhr und am Wochenende bis 5.00 Uhr erlaubt. «Nach einem Antrag und nach Anhörung der Polizei sind aber auch manche Lokale, zum Beispiel Diskotheken und Clubs, vor allem an den Wochenenden durchgehend geöffnet», sagt Martin Thronberens, Pressesprecher der Landeshauptstadt.
Unter der Woche bis 3.00 Uhr und am Wochenende bis 5.00 Uhr – diese Sperrzeiten gelten landesweit. Aber nur solange die Städte und Kommunen keine strengere Regelung beschließen. Die Landesregelung gilt zum Beispiel auch in Heilbronn oder Freiburg. «Aber mit der Außenbewirtung ist spätestens um Mitternacht Schluss», sagt Edith Lamersdorf von der Stadtverwaltung der Schwarzwaldmetropole.
Und wie geht es nun mit den Sperrzeiten in Heidelberg weiter? Nach der geplatzten Abstimmung will der Gemeinderat frühestens in sechs Wochen über eine neue Regelung entscheiden. Von dem Aufschub profitieren immerhin Nachtschwärmer und Kneipenwirte. Denn die liberalere Landesregelung gilt mindestens bis dahin auch in der beliebten Touristenmetropole mit ihrer malerischen Alten Brücke.
(dpa)