Berlin – Von Berlin nach Boston? Da muss man ins Flugzeug steigen. Doch von Hamburg nach Sylt? Drei Stunden mit dem Zug, sagt der Routenplaner, fünf Stunden mit dem Auto, wegen der Fähre. Aber es ginge auch in 50 Flugminuten! Jeden Tag landen Direktflüge aus deutschen Städten auf der Insel.
Im vergangenen Herbst sorgte ein «Überseeflug» für Schlagzeilen: Ein Jet der österreichischen Fluggesellschaft People’s Viennaline war am 2. November morgens gegen halb sieben in Altenrhein in der Schweiz gestartet und acht Minuten später auf der anderen, deutschen Seite des Bodensees in Friedrichshafen gelandet – planmäßig. Die Rede war vom «kürzesten Linienflug der Welt». Kurios: Berichtet wurde, dass die Piloten die Landeerlaubnis beantragen mussten, noch bevor sie gestartet waren. Doch das Passagierziel wurde nicht erreicht, der Verkehr auf der ungewöhnlichen Strecke im April 2017 wieder aufgegeben. Luftverkehrsexperten sehen seit Längerem: Regional funktioniert der Flieger nur noch bedingt.
«Im Regionalluftverkehr können wegen der beschränkten Fluggastpotenziale nur kleinere Flugzeuge eingesetzt werden. Diese aber produzieren hohe Kosten pro Sitzplatz», erklärt der Luftfahrtexperte Prof. Gerd Stöwer. Er erinnert daran, dass noch in den 1990er Jahren Gesellschaften wie der Nürnberger Flugdienst oder Augsburg Airways mit Propellerflugzeugen Strecken abseits der großen Ballungsgebiete bedienten. Damals seien Reisende bereit gewesen, für Hin- und Rückflug 500 Euro zu zahlen. «Damit war Regionalluftverkehr gewinnbringend zu organisieren.» Inzwischen habe sich vor allem durch die Billigflieger das Preisdenken geändert: «Ein kurzer Flug darf möglichst nicht über 100 Euro kosten. Mit solchen Tarifen können Strecken mit kleinem Fluggerät nicht kostendeckend betrieben werden.»
Eine Boeing 737-800 wie sie beispielsweise Ryanair einsetzt, kann bis zu 190 Passagiere befördern. Doch auch kleinere Regionalflugzeuge mit 20 bis 70 Sitzen «benötigen zwei Piloten, mindestens einen Flugbegleiter, zahlen vergleichbar hohe Entgelte für Navigation, Anflug, Landung und Abfertigung», erläutert Stöwer.
Für den Inlandsurlaub nutzt laut einer Untersuchung der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen nur ein Prozent der Reisenden den Flieger. Ausnahmen bestätigen die Regel, vor allem in touristisch geprägten Regionen. Beispielsweise steht Heringsdorf auf Usedom im Linienflugplan von Eurowings von Düsseldorf und Stuttgart. Die Airline hat aktuell auch Sylt (von/nach Köln-Bonn) im Programm.
Über Westerland herrscht reger Flugverkehr. Der Flughafen Sylt führt als Direktflüge Basel, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hamburg, Köln/Bonn, Mannheim, München, Nürnberg, Stuttgart und Zürich auf. Große Airlines wie Lufthansa fliegen dorthin, aber auch Spezialisten. Sylt Air bedient in den Sommermonaten mit Kleinflugzeugen für drei bis neun Passagiere zweimal täglich die Strecke zwischen Sylt und Hamburg.
Insel-Urlauber aus Mannheim und Nürnberg werden von Rhein-Neckar-Air befördert. Feste Flugpläne gibt es auch zu anderen Nordseeinseln. So pendelt der «Inselflieger» der Frisia Luftverkehr Norddeich täglich mehrmals zwischen Norddeich und Juist sowie zwischen Harle und Wangerooge.
Doch was nicht vergessen werden sollte: Aus Umweltsicht sind Kurzstreckenflüge problematisch – und nicht auf Strecken empfehlenswert, wo es gute Alternativen gibt. So sei beispielsweise der Flugverkehr auf der Strecke zwischen Berlin und Hamburg «durch eine attraktive Bahnverbindung quasi zum Erliegen gekommen», erklärt Dietmar Oeliger vom Naturschutzbund Deutschland. Er weist darauf hin, dass bei kurzen Flügen die energieintensiven und Lärm verursachenden Teile Start und Landung einen großen Anteil einnehmen. Bodenseeurlauber dürften froh sein, dass es diesen Sommer keinen «Überseeflug» gibt.
(dpa/tmn)