Kreuzfahrt-Boom setzt Werften und Hafenstädte unter Druck

Hamburg – Friedrich Joussen, Chef des Reisekonzerns Tui, würde gern mehr investieren, kann aber nicht. «Wenn wir könnten, würden wir mehr Schiffe bauen lassen», sagte er vor kurzem der Zeitung «Euro am Sonntag». «Aber die großen Werften sind komplett ausgelastet.»

Tatsächlich gibt es in Europa nur vier große Schiffbauer, die Kreuzfahrtriesen wie die «Mein Schiff»-Serie von Tui bauen können: die Meyer-Werft in Papenburg mit ihrem zweiten Standort im finnischen Turku, die italienische Fincantieri in Triest und das französische Unternehmen STX France in St. Nazaire.

Asiatische Werften können bislang die Qualitätsstandards der europäischen Reedereien nicht erfüllen, der Bau von zwei «Aida»-Schiffen auf der japanischen Mitsubishi-Werft endete in einem teuren Desaster. Auf den ostdeutschen Werften will die malaysische Genting-Gruppe nun Kreuzfahrtschiffe bauen. Los geht es erst einmal mit kleineren Fluss-Kreuzern.

Trotz der engen Schiffbau-Kapazitäten bleibt die Kreuzfahrt eine Boom-Branche. Allein in diesem Jahr werden weltweit zwölf neue Hochseeschiffe in Dienst gestellt, davon sieben mit einer Kapazität von mehr als 2500 Passagieren. «Die Schiffe werden immer größer», sagt Matthias Rieger vom Hamburg Cruise Center. «Wir werden künftig weniger Anläufe bei mehr Passagieren haben.»

Allein in Europa unternahmen im vergangenen Jahr 6,7 Millionen Passagiere eine Kreuzfahrt, das sind 3,4 Prozent mehr als im Jahr davor. Und das Wachstum geht weiter, da sind sich alle Experten einig. Jedes neue Schiff im Markt ist auch schnell ausgebucht.

Doch Kapazitätsprobleme gibt es nicht nur auf den Werften, sondern auch bei etlichen beliebten Zielen. In Dubrovnik kamen Anfang Juni an einem einzigen Tag 9000 Touristen mit Kreuzfahrtschiffen an, obwohl die kleine Altstadt nach Berechnungen von Fachleuten nur 7000 am Tag vertragen kann. Neben Dubrovnik erstickt auch die montenegrinische Altstadt von Kotor in der gleichnamigen Bucht an Kreuzfahrtgästen.

Nirgends ist der Protest gegen die Meeresriesen so groß wie in Venedig. Die Lagunenstadt lebt vom Tourismus – und leidet unter den Menschen. Viele der umstrittenen Tagestouristen werden von den Kreuzfahrtschiffen ausgespuckt, die noch immer mitten in die Stadt hineinfahren dürfen, obwohl dies das Ökosystem erheblich gefährdet.

Die UN-Kulturorganisation hat längst ein Verbot für die riesigen Schiffe vor allem im San-Marco-Becken gefordert. Die Wellenbewegungen sowie der Dreck, der aus den Schornsteinen gepustet wird, schadeten dem Weltkulturerbe. Am 18. Juni unterstützten mehr als 18 000 Menschen fast einhellig in einem Volksbegehren diese Forderungen. Ob sich die Politiker in Rom davon überzeugen lassen, ist unklar.

Auch auf Malta herrscht Unmut über die Kolosse, die im Hafen der Hauptstadt Valletta einlaufen und Menschenmassen ins Zentrum befördern. Es ist eine der Folgen des Touristen-Booms, den der Inselstaat im Mittelmeer derzeit erlebt – auch, weil Urlauber aufgrund der politischen Instabilität traditionelle Reiseländer wie Tunesien, Ägypten oder die Türkei meiden.

In Spanien wächst von Jahr zu Jahr die Zahl der Kreuzfahrtschiffe. 2016 wurde die Rekordzahl von 3918 Schiffen registriert – 61 mehr als im Vorjahr. Aus den Meeresriesen strömten insgesamt 8,5 Millionen Menschen in die spanischen Städte. Beliebtestes Ziel war Barcelona mit knapp 2,7 Millionen Kreuzfahrt-Touristen. Das waren fast sechs Prozent mehr als 2015 – in einer Stadt, die ohnehin ein beliebtes touristisches Ziel ist. Entsprechend rapide wächst auch der Ärger der Gegner, die in erster Linie vor irreparablen Umweltschäden warnen, aber auch eine Beeinträchtigung des Charakters der Innenstädte und der Lebensumstände der Einheimischen beklagen.

Bei einer vom «Verband der Stadtteile für einen nachhaltigen Tourismus» (ABTS) organisierten Kundgebung protestierten im vergangenen Sommer Dutzende gegen das größte Kreuzfahrtschiff der Welt, den 120 000-Tonner «Harmony of the Seas» der US-Reederei Royal Caribbean Cruises mit einer Kapazität für 6360 Passagiere und 2100 Besatzungsmitglieder. Für diesen Sommer sind weitere Protestkundgebungen gegen die Tagestouristen vorgesehen.

«Man muss diesen Wahnsinn stoppen», sagt ein ABTS-Mitglied. Es gebe immer mehr Stadtteile in Barcelona, in denen aufgrund des Touristenansturms das Leben für die Einheimischen völlig unmöglich geworden sei. Die linke Bürgermeisterin Ada Colau, die bereits einen Hotelbaustopp verhängt hat und auch gegen die illegale Vermittlung von privaten Ferienwohnungen vorgeht, erwägt eine strengere Regulierung des Kreuzfahrttourismus.

Eine Lösung für die Probleme in den Top-Häfen ist einstweilen nicht in Sicht. «Die Reedereien müssten sich besser koordinieren», meint Rieger. Doch die Routenpläne werden Jahre im voraus entworfen. Die Reedereien äußern sich nicht. Am Ende könnte nicht nur in Barcelona eine striktere Regulierung der Kreuzfahrtschifffahrt stehen – und manch attraktiver Zielhafen seltener in den Fahrplänen auftauchen.


(dpa)

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