Oberstdorf – Die Sonne strahlt von einem tiefblauen Himmel, Kuhglocken sind weithin zu hören. «Kemptner Hütte, 45 Minuten» steht auf dem gelben Schild, man sieht bereits das Dach.
Bei der Ankunft wird dann schnell klar: Die Unterkunft ist komplett voll. Hüttenwirt Martin Braxmair steht am Tresen, hakt Namen ab und vergleicht sie mit seiner Reservierungsliste: «Okay, passt alles.»
Stark gestiegene Besucherzahlen
Wer keine Reservierungsbestätigung hat, muss ab 22.00 Uhr mit einem Notlager vorlieb nehmen – zu später Stunde weggeschickt wird in den Bergen niemand. Doch ganz spontan ins Gebirge fahren und einen Platz für die Nacht in einer Hütte ergattern: Diese Zeiten sind in der Hochsaison zumindest in Gegenden wie den Allgäuer Hochalpen vorbei.
Die «Kemptner Hütte» gehört zu den meistbesuchten Zielen der Region. «2001 hatten wir pro Saison etwa 10.600 Übernachtungen, in 2017 waren es mehr als 24.000. Da war uns klar: Wir schaffen das nicht mehr so, wie wir das früher gemacht haben», erzählt Braxmair. Ständig habe das Telefon geklingelt, Hunderte Mails kamen bei ihm an. «An einem Tag waren es 317 Mails in 24 Stunden, das war eine Katastrophe.»
Hilfe durch ein Online-Reservierungssystem
Er habe dann eine Idee aus der Schweiz übernommen, erzählt Braxmair. Die eidgenössischen Hüttenwirte arbeiten schon seit 2013 mit einem Online-Reservierungssystem. Um zu reservieren, gehen Gäste der «Kemptner Hütte» nun also auf die Seite
www.huetten-holiday.de und müssen zehn Euro Anzahlung leisten. «Wenn ich das mit der Anzahlung nicht mache, renne ich meinem Geld hinterher», sagt Braxmair. Denn leider kämen viele Wanderer trotz Reservierung wegen schlechten Wetters einfach nicht – und sagten die Schlafplätze nicht einmal ab.
Daneben ärgern Braxmair vor allem überzogene Gästeerwartungen. Zwar seien viele Hütten moderner als früher. «Aber die Ansprüche haben sich enorm verändert. Heute muss die Hütte allen Komfort mit heißer Dusche und exzellentem Handynetz haben – und dann schimpfen sie auch noch über die Preise.» Markus Karlinger, Wirt im «Waltenbergerhaus» oberhalb von Oberstdorf, teilt diese Beobachtung: «Viele fordern einen Hotelstandard ein, den ich schlicht nicht leisten kann und auch nicht leisten will – wir sind immerhin oben am Berg.»
Hüttenregeln beachten
Irgendwann war es Karlinger und Braxmair zu bunt, und so taten sie sich mit anderen Wirten zusammen. Heraus kam der «Kleine Leitfaden für Alpinisten». Darin wird um ein respektvolles Miteinander und um Einhaltung der Hüttenregeln gebeten. Auch der Hinweis, dass es am Berg oftmals keinen Handyempfang und kein WLAN gibt, ist vermerkt. «Gespräche am Tisch mit Bergkameraden sind ein echtes Erlebnis», werben die Wirte um Kommunikation untereinander und darum, nicht nur mit dem Smartphone am Tisch zu sitzen und Fotos anzuschauen.
Thomas Bucher, Sprecher des Deutschen Alpenvereins (DAV), kann diese Einstellung nachvollziehen. Derzeit betreibt der DAV in den Alpen und in Mittelgebirgen 321 Hütten mit insgesamt 20.400 Schlafplätzen. Die Zahl der Übernachtungen liegt stabil bei etwa 800.000 pro Saison. Dass viele Wanderer einen immer höheren Komfort wünschten, sieht auch der DAV kritisch. «Bei vielen ist es offenbar noch immer nicht angekommen, dass Berghütten eben keine Hotels sind und daher auch nur über einen entsprechenden Standard verfügen», sagt Bucher.
Einen etwas höheren Standard als in einer urigen Berghütte finden Wanderer seit der Saison 2018 nun zwar auch im «Waltenbergerhaus», einem umgebauten, moderne Holzbau in 2084 Metern Höhe. Beliefert werden die Wirtsleute allerdings noch immer über den Helikopter – und ein öffentliches WLAN-Netz gibt es in der Hütte ganz bewusst nicht.
(dpa/tmn)