Kathmandu – Kami Rita Sherpa hat schon Lebensträume von Dutzenden Menschen erfüllt: Der 50 Jahre alte Nepalese hat sie auf den höchsten Punkt der Erde geführt, den 8848 Meter hohen Mount Everest.
Für seine 25. Gruppe hatte seine Firma bereits Flüge von der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu zum gefährlichsten Flughafen der Welt in Lukla gebucht, von wo er die Abenteurer zum Basislager bringen wollte. Aber dann war Schluss. Kurz vor dem Hauptsaisonstart im Frühling hat Nepals Regierung den Everest dichtgemacht.
Angst vor Ansteckung
Sie befürchtet, dass sich das neuartige Coronavirus dort ausbreiten könnte. Manche Abenteurer hatten ganz oben einen Stau gebildet – in der sogenannten Todeszone, wo selbst trainierte Alpinisten ohne Sauerstoffflaschen nur kurz bleiben können.
Kami Rita Sherpa verlor durch die Entscheidung seiner Regierung sein Einkommen für die ganze Saison – so wie Zehntausende seiner Berufskollegen. Aber der erfahrene Bergführer versteht die Entscheidung auch, wie er sagt: «Ich hätte Angst, mich bei den Ausländern anzustecken.»
Doch das Geld der Alpinisten aus dem Ausland ist wichtig für Nepal, eines der ärmsten Länder der Welt. Ein durchschnittlicher Aufstieg kostet laut dem amerikanischen Bergsteiger und Blogger Alan Arnette rund 40.000 Euro, so viel wie ein guter Neuwagen. Kletterer mit hohem Budget geben auch das Doppelte oder Dreifache aus. Darin enthalten ist etwa eine Genehmigung für das Besteigen des Mount Everest für 11.000 Dollar (ca. 10.000 Euro). Wie die nepalesische Tourismusbehörde auf Anfrage mitteilte, hatte Nepal im vergangenen Frühling mit 367 Lizenzen für ausländische Touristen rund vier Millionen Dollar eingenommen.
Sicher an Lawinen und Stürmen vorbei
Dazu kommen Kosten für Ausrüstung, Zelte, Inlandsflüge, Essen, Sauerstoffflaschen und ein ganzes Team von einheimischen Helfern. Diese befestigen Seile vor der Expedition, führen die Alpinisten sicher an Lawinen und Stürmen vorbei Richtung Gipfel, tragen ihr Gepäck zwischen dem Basislager und Höhenlagern hin und her, damit sie sich mit regelmäßigen Auf- und Abstiegen an die Höhenluft gewöhnen können, stellen Zelte auf und kochen während der sechs bis acht Wochen, die Bergsteiger im Schnitt für den Everest brauchen. Mit dieser Hilfe kamen schon ein 80-Jähriger, ein 13-Jähriger und ein Blinder auf den Everest.
Weil es nur kurze Zeit ideale Wetterbedingungen gibt, arbeiten Sherpas meist nur je zweieinhalb Monate im Frühling und im Herbst. Den Rest des Jahres leben sie und ihre Familien von diesem Geld. Nun fällt für viele das halbe Jahreseinkommen weg. Kami Rita Sherpa gehört dabei zu den Topverdienern und hat Ersparnisse – aber das sei nicht bei allen so. Ein Bergführer für ausländische Alpinisten verdient laut Bergsteiger Arnette im Schnitt 11 000 Euro pro Jahr – deutlich mehr als ein Durchschnittsnepalese, aber Träger und andere Helfer verdienen oft nur rund 12 Euro pro Tag.
Den Sherpas geht nun das Geld aus
Bergführer Arjun Nepali sagt: «Langsam hat meine Familie kein Essen mehr und auch kein Gas zum Kochen oder Geld. Andere Sherpas haben Bauernhöfe, aber wir nicht, und wenn diese Situation bleibt, werden wir verhungern.» Die Regierung verteilt zwar Essensrationen an Bedürftige, aber die Hilfe erreicht nicht alle.
So versuchte Kami Rita Sherpa seine Regierung zu überzeugen, ihn und andere Sherpas zu bezahlen – dafür, dass sie ein großes Problem auf dem Everest beseitigen: Dort liegen tonnenweise kaputte Zelte, Essensverpackungen, leere Wasserflaschen, Bierdosen und Sauerstoffflaschen, die erschöpfte Kletterer liegen gelassen haben. Es gibt auch etliche Leichen, die schwer zu bergen sind. Doch wegen der Corona-Gefahren lehnte die Regierung diesen Plan ab.
Erholung für die Vegetation
Nun sitzen Kami Rita Sherpa und die anderen Helfer zu Hause. Wegen einer strikten Ausgangssperre dürfen sie nur raus, um Essen und Medikamente zu kaufen und bei Notfällen. So können sie auch kaum die bessere Luft in der normalerweise sehr mit Feinstaub belasteten Hauptstadt Kathmandu genießen. Und sie können nicht sehen, dass sich einige ausgetrampelte Bergpfade ohne Menschen wohl etwas erholen, wie der deutsche Bergsteiger Ralf Dujmovits sagt, der schon alle 14 Achttausender bestiegen hat. Aber die Vegetation in den Höhen brauche Jahre, um sich wirklich zu regenerieren.
Viele Sherpas hoffen nun, dass sie im Herbst wieder Kunden auf den Everest führen können. Aber mehrere Tourismusfirmen glauben, dass erst im Herbst 2021 Normalität zurückkehren wird. Sollte dies der Fall sein, wird es laut Arnette für viele Sherpas richtig schwer. Er sammelt nun mit anderen Bergsteigern Geld, um ihnen zu helfen.
(dpa)