Berlin – Zu fünft quer durch Deutschland, für nur 15 Mark! Ok, in Bummelzügen, aber dieses Angebot war unschlagbar: 1995 führte die Deutsche Bahn das Wochenendticket ein, ein Pauschalpreis für alle Regionalzüge.
Und die Bürger machten sich auf: Kegelclubs, Studenten, Fußballfans, Junggesellenabschiede – nur drei Mark pro Nase, blieb mehr für Getränke.
Viele Millionen Menschen stiegen mit der Wochenend-Flatrate in die Bahn. Am Samstag (8.6.) ist Schluss. Zum letzten Mal werden die Automaten an Deutschlands Bahnhöfen das Stück Papier auswerfen, das inzwischen viel teurer ist als zu Beginn.
«Das Schöne-Wochenende-Ticket darf in den Ruhestand gehen», heißt es bei der Bahn. «Mangels Nachfrage und zur Vereinfachung der Tarifstruktur.» Fahrgastvertreter sprechen von einer Zäsur. Denn die Geschichte des Tickets zeigt auch, wie sich die Zeit für die Bahn und ihre Kunden in 24 Jahren geändert hat.
Die 1990er Jahre, da hatte man gerade die Bundesbahn hinter sich gelassen. Die Behördenbahn sollte ein richtiges Unternehmen werden. Und sie machte den Kunden ein echtes Lockvogel-Angebot: Die 15-Mark-Flatrate brachte an den ersten Wochenenden Chaos. Züge waren hoffnungslos überfüllt, Reisende blieben am Bahnsteig zurück.
Wer gehört zu wem? Schaffner stiegen im Getümmel nicht mehr durch. In der Bahn ging es zu wie am Wühltisch im Schlussverkauf. Gewerkschaften polterten: «Tarifpolitischer Schwachsinn».
Die Folge: Preisaufschläge und Beschränkungen des Tickets, zeitweise bei der Zahl der Reisenden, schließlich auf nur einen Tag. Überfüllte Züge gab es dennoch, die Bahn klagte über dreckige Wagen und Vandalismus, zuweilen musste der Grenzschutz Züge räumen.
Knapp sieben Millionen Karten wurden allein im Jahr 2000 verkauft. «Hat noch einer ein Wochenendticket?», fragten fahrscheinlose Reisende in Abteilen. Man nahm einander mit, mancher gab das Ticket an der Endstation weiter. Für ein paar Mark oder – später – Euro.
Und heute? Wer viel Zeit hat und wenig Geld, der ist nicht mehr auf Bummelzüge angewiesen. Fernbusse sind oft billiger, wenn auch nicht schneller. Millionen Fahrgäste nutzen Mitfahrzentralen, die in den 1990ern noch mit Karteikästen arbeiteten. Heute formen sie mit Apps und Algorithmen viel mehr Fahrgemeinschaften. Billigflieger sind selbst auf Inlandsstrecken unterwegs.
Die Bahn hat Konkurrenz bekommen – und lockt doch selbst immer mehr Kunden. 2,6 Milliarden Reisende waren es im vergangenen Jahr, rund eine Milliarde mehr als zu der Zeit, als sich die Manager das Wochenendticket ausdachten.
Es gibt Sparpreise und Super-Sparpreise, gegen die das Wochenendticket mit zuletzt 44 Euro für Alleinreisende schon recht teuer sein kann. Um es weiter anzubieten, hätte man es noch teurer machen müssen, heißt es bei der Bahn.
«Wir haben ein lachendes und ein weinendes Auge», kommentiert Karl-Peter Naumann als Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn das Ende. «Das Wochenendticket war ein tolles Pauschalticket, aber je übersichtlicher die Angebote, desto besser.»
Denn andere Karten bieten Ähnliches wie das Wochenendticket, und zwar an jedem Tag: Das Länderticket innerhalb einzelner Bundesländer für 23 Euro und das bundesweit gültige Quer-durchs-Land-Ticket für 44 Euro für Alleinreisende, plus 8 Euro für jeden Mitfahrer.
Das sind andere Dimensionen als die umgerechnet 7,67 Euro für fünf Leute, die das Wochenendtickt zum Start kostete. «Das war zu wenig», meint Naumann. «Verkehr muss nicht so günstig sein, dass er künstlich erzeugt wird. Das System braucht auch Geld.»
Die Bahn steckt im Sanierungsstau. An vielen Stellen im 33 000 Kilometer langen Netz wurde jahrelang nur das Nötigste gemacht, manche Stellwerke sind museumsreif. 54 Milliarden Euro seien nötig, das Netz auf Vordermann zu bringen, heißt es beim Konzern, den knapp 20 Milliarden Euro Schulden plagen. Über frisches Geld wird mit dem Bund verhandelt, ein Teil des Auslandsgeschäfts steht zum Verkauf.
Das wird die Kunden am Fahrkartenautomaten wenig kümmern. Aber sie werden bemerken, dass der Wechsel vom Wochenendticket auf das Quer-durchs-Land-Ticket für sie Abstriche bringt: Dass es erst ab 9.00 Uhr gilt statt ganztägig, dass es für Mitfahrer teurer wird, dass sie nicht mehr Busse und U-Bahnen mitnutzen können. Korrekturforderungen des Bahnkunden-Verbands hat der Konzern bislang nicht erhört.
(dpa)