Seebach – Am Ufer des Wildsees mit seinem stillen Wasser macht Wolfgang Schlund der Wandergruppe den Sinn des Nationalparks deutlich. Wo vor mehr als 25 Jahren erst ein Orkan und dann der Borkenkäfer die Fichten zerstörte, wächst heute ein junger artenreicher Wald heran.
«Sturm, Borkenkäfer oder Schneebruch sind notwendige Anstöße», sagt Nationalparkdirektor Schlund und blickt auf den nahen Steilhang. «Das System der Natur ist viel besser als wir uns das vorstellen.»
Seit gut zweieinhalb Jahren gibt es den Nationalpark Schwarzwald, der sich in zwei Teilen über 100 Quadratkilometer (so groß wie die Nordseeinsel Sylt) bis auf mehr als 1000 Meter Höhe erstreckt. Vom heftigen Protest in der Region zwischen Baden-Baden und Freudenstadt gegen die Planung ist nicht mehr viel zu hören.
Andreas Fischer, der den Widerstand in der Interessengemeinschaft «Unser Nordschwarzwald» an erster Stelle mit organisiert hatte, sagt heute: «Die Kritiker müssen einen Zwangsfrieden mit sich selbst schließen, aber ich glaube nicht, dass wir einen Frieden mit dem Nationalpark schließen werden.» Denn viel sei versprochen worden. «Nach zweieinhalb Jahren wird sichtbar, dass aus den Versprechungen nichts geworden ist», sagt der 53 Jahre alte Unternehmer, der zwischen den beiden Teilen des Nationalparks im Örtchen Hundsbach lebt. Fischer bemängelt vor allem die aus seiner Sicht schlechte Kommunikation. So tage der Nationalparkrat nicht öffentlich. «Der Bürger wird da draußen vor gelassen.»
Das Versprechen, innerhalb von 30 Jahren in den Entwicklungszonen des Nationalparks einen Umbau des Waldes von Fichten hin zu einem Bergmischwald zu erreichen, werde gebrochen, kritisiert Fischer. «Das war das Schlüsselargument.» Er befürchtet stattdessen, dass sich eines Tages der Borkenkäfer massiv ausbreitet. Der 53-Jährige will mit dem Verein «Unser Nordschwarzwald» die Kritik weiterführen und hat dazu mit seinen Mitstreitern gerade einen Zehn-Punkte-Plan veröffentlicht. «Ich glaube, es ist wichtig, hier ein Gegengewicht gegen diese Friede-Freude-Eierkuchen-Mentalität zu sein.»
Schlund folgt einem schmalen Pfad in ein Waldstück, das zur Entwicklungszone des Nationalparks gehört. Dort soll der Fichtenforst innerhalb von 30 Jahren zu einem artenreichen Mischwald entwickelt werden und anschließend sich selbst überlassen bleiben. «Im Wirtschaftswald bekämpft man den Borkenkäfer, im Nationalpark ist das anders», sagt Thomas Waldenspuhl, der mit Schlund die Parkverwaltung leitet. Wird in der Entwicklungszone oder in der 500 Meter breiten Pufferzone am Rande des Parks ein von Borkenkäfern befallener Baum entdeckt, muss er innerhalb von zwei Wochen gefällt und weggeschafft sein – damit sich die Insekten nicht zur Plage im angrenzenden Privatwald entwickeln.
Wenige Meter weiter im Bannwald, der schon seit mehr als einhundert Jahren unberührt ist, ragen kahle Stämme in die Höhe, verrottendes Holz liegt am Boden und junge Bäumchen sprießen neben alten Tannen. Die Strukturvielfalt sei entscheidend, erklärt der Biologe Schlund. «Wenn Sie das Wohnzimmer des Auerwilds sehen wollen, müssen Sie hier reinschauen.» Die seltenen Vögel finden in den lichten Bereichen Heidelbeeren als Nahrung und Schutz vor ihren Feinden Habicht oder Fuchs. «Auerhühner brauchen alte, offene, strukturreiche Wälder.» Das gelte auch für Kreuzotter, Kauz, Specht und viele andere Arten. «Hat das einen Nutzen?», fragt der Direktor, guckt in die Runde und gibt die Antwort gleich selbst: «Diese Frage gibt es hier nicht.»
Sein Kollege Waldenspuhl formuliert es so: «Wir haben kein Ziel, wir wissen nicht, was passiert.» Das sei das Faszinierende an einem Nationalpark. Die Natur dürfe sich selbst entwickeln. Der Mensch werde mehr und mehr zum Beobachter. Das gelte auch für die Folgen des Klimawandels. «Ob die Fichte überlebt, großes Fragezeichen.» Buche und Tanne könnten profitieren. «Wie das gehen wird, wissen wir nicht.» Bei dieser Erkenntnis, die Förstern im herkömmlichen Wald Angst machen dürfte, sehen die beiden Nationalparkchefs überhaupt nicht unglücklich aus.
Baden-Württembergs Naturschutzminister Franz Untersteller (Grüne), stimmt den beiden Experten zu: «Der Schwarzwald wird sich drastisch verändern.» Gerade deswegen sei der Nationalpark so ein Gewinn. Der Naturschutz habe im Südwesten eine lange Tradition, gefehlt habe aber ein großes zusammenhängendes Gebiet. «Wir spielen jetzt in der Champions League des Naturschutzes», sagt er nicht ohne Stolz.
Dass es die laute Kritik aus der Planungsphase so nicht mehr gebe, sei eine tolle Entwicklung. «Ich habe das aber auch nicht anders erwartet.» Denn nichts sei im stillen Kämmerlein entschieden worden, sondern mit Beteiligung der Betroffenen. «Ich habe den Eindruck, dass es großes Vertrauen in die Arbeit der Nationalparkverwaltung gibt.»
Untersteller betont, dass der Nationalpark kein Tourismusprojekt sei, auch wenn er natürlich eine große Zahl von Gästen anziehe. «Ich bin mir sehr sicher, dass die Region vom Nationalpark profitieren wird.»
Der Landrat des Kreises Freudenstadt, Klaus Michael Rückert (CDU), setzt auf die Zeit und die Neugier des Nachwuchses: «Wenn wir die Kinder für den Nationalpark begeistern, stellt sich das Akzeptanzproblem in der nächsten Generation nicht mehr.»
Der Tourismusdirektor von Baiersbronn, Patrick Schreib, sieht den Nationalpark als eine Art Katalysator, der eine ganze Reihe von Prozessen in der Zusammenarbeit in Gang setze. «Ich kann sagen, dass in diesen zweieinhalb Jahren schon viel passiert ist.» Die Aufmerksamkeit für die Region habe sich erhöht. Wenn das Infozentrum und weitere geplante touristische Einrichtung fertig seien, werde sich die Entwicklung fortsetzen, ist Schreib sicher.
In der Gemeinde Baiersbronn, auf deren Gemarkung ein Großteil des Nationalparks liegt, entwickele sich der Tourismus gut. «Wir müssen die begonnenen Projekte jetzt umsetzen.» Das gelte etwa für das Tourismus- oder Verkehrskonzept. «Wir brauchen die Übereinstimmung, dass wir gemeinsam mehr erreichen als jeder alleine», sagt Schreib. Ein gelungenes Beispiel ist der öffentliche Nahverkehr. Besucher können jetzt mit einem Ticket die Angebote von drei Verkehrsverbünden nutzen.
In einigen Bereichen des Nationalparks werden tierische Helfer eingesetzt, um Flächen zu erhalten, die erst der Mensch durch seine Nutzung geschaffen hat. Anders als im Wald ist eine natürliche Verwilderung auf den offenen Hochflächen, den Grinden, nicht gewünscht. Sie bieten mit ihren Heidelbeeren und dem Pfeifengras Zugvögeln, Kreuzottern oder dem Auerwild Lebensraum und Nahrung. Schafe und Rinder weiden die Grinden immer wieder ab, damit sie nicht verbuschen und am Ende zu Wald werden. «Das ist aus Sicht des Naturschutzes eine ganz wichtige Landschaft», sagt Waldenspuhl. Die Grinden seien aus der Not entstanden, als die Menschen noch jeden Quadratmeter nutzen mussten, um sich ernähren zu können.
Am Rande eines schmalen steilen Pfads hinunter zum Wildsee ragt unvermittelt eine vielleicht 300 Jahre alte Tanne hoch auf. Sie ist zerzaust von Schneebruch und Stürmen, sie hätte für die Holzindustrie keinen allzu großen Wert. Aber sie ist ein ganz eigenes Ökosystem, das zahlreichen Arten ein Zuhause bietet. «Schauen Sie den Baum an und er erzählt Ihnen eine ganze Geschichte», sagt Waldenspuhl. Das sei wie bei den Menschen. Der französische Schriftsteller Paul Claudel (1868 – 1955) formulierte es so: «Wenn man in einen Wald eintritt, so ist es, als trete man in das Innere einer Seele.»
(dpa)