Berlin – Wenn Deutschland schlafen geht, beginnt im ICE die Arbeit. Lagermitarbeiter Justin Wray rollt in Berlin ein Bierfass in den Zug und Container in die Bordküche.
An Bahnhöfen zwischen Hamburg und München füllen Teams nachts
Speisewagen der Deutschen Bahn. Mit Apfelschorle und Erdinger, Gulasch und Zuckerwaffeln. Für den Konzern ist das kein einfaches Geschäft, aber ein Service, um Kunden nicht an die Konkurrenz zu verlieren.
Speisewagen, das klingt nach weißer Tischdecke und einem Hauch Orient-Express. Heute kommt das Aktionsgericht «Frikadelle mit Pilzrahmsoße» aus einem Plastikbeutel auf den Teller. Die Currywurst gibt es im Mitnehmbecher. «Das klassische Tellergericht ist nicht mehr so stark vom Kunden gewünscht», sagt eine Bahnsprecherin.
Gäste bestellten seltener Drei-Gänge-Menüs, auch weil die Fahrzeiten kürzer seien, sagt eine ihrer Kolleginnen. Stattdessen versucht es der Konzern mit mehr Snacks. 2017 wurden rund 200.000 Portionen Chili con Carne verkauft, von anderen Gerichten noch mehr. Etwa knapp 230.000 Currywürste und mehr als 640.000 Flammkuchen. Neben Eintopf gibt es heute auch veganen Möhren-Apfel-Salat oder Bio-Salat mit Couscous.
Den Salat mag auch Michael Wedel vom Deutschen Bahnkunden-Verband. Er kauft am liebsten billige Bahntickets. Von Berlin nach München und am gleichen Tag zurück. Er steige gerne in Berlin-Gesundbrunnen ein, noch vor dem Hauptbahnhof, und sichere sich einen Platz im Bordrestaurant. Von dort bestellt er und guckt aus dem Fenster. «Also wenn es voll wird, gehe ich natürlich auch», sagt Wedel.
Im Speisewagen lasse er meist 40 bis 50 Euro. Über manches ärgert er sich auch. «Ich find‘ sie bisschen klein, die Brötchen», sagt er der Bahn bei einem Rundgang in Berlin. Die Butter sei manchmal zu hart. Der Salat sei dagegen immer sehr gut, aber: «Früher war noch mit Lachs». Wedel kritisiert, dass die neuen Doppelstock-IC kein Bordbistro hätten. Dort gingen lediglich Verkäufer durch den Zug.
Dass man nach Stunden auf Reisen gerne isst, wissen nicht nur Eltern, die bei Autofahrten regelmäßig Tüten auf die Rückbank reichen. Auch andere Verkehrsunternehmen organisieren eine Verpflegung. Holländische Nordseeboote verkaufen Fleischkroketten, griechische Fähren Burger. Mittlerweile müssen viele Passagiere auch im Flugzeug zahlen. Dort wird aufgewärmt, ganz so wie im Zug.
Viele Fernbusse verkaufen ebenfalls Snacks. Aber «nichts, was klebt und dreckig macht», sagt ein Flixbus-Sprecher. Das Unternehmen arbeitet mit rund 300 Busgesellschaften. Die Partner entscheiden selbst, welche Snacks sie verkaufen. Der Erlös aus Wasser oder Gummibärchen gehe zu 100 Prozent an Fahrer oder Buspartner, sagt der Sprecher. Bei den Zugverbindungen von Flixtrain sei das auch so. Da würden sie viel ausprobieren. Auf der Karte: Bio-Würstchen. Zahlen nennt
Flixbus nicht.
Essen auf Reisen ist auch bei der Deutschen Bahn ein aufwendiges Geschäft. Deren
Bordgastronomie machte 2017 rund 80 Millionen Euro Umsatz. Das sei ähnlich viel wie in den Vorjahren, erklärt eine Sprecherin. Aber was bleibt hängen?
Laut Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» schrieb die DB-Bordgastronomie schon 80 Millionen Euro Verlust – und manchmal deutlich mehr. Die Bahnsprecherin äußert sich dazu nicht, sondern erklärt auf Anfrage: «Die Bordgastronomie ist ein Service-Bestandteil, mit dem wir keinen Gewinn erwirtschaften.»
Am Betriebsbahnhof Rummelsburg ist es jetzt halb zehn abends. In der Lagerhalle dudelt «Lambada» im Radio und Fußball auf dem Flachbildfernseher. Rund 2300 Menschen arbeiten bundesweit in den rollenden Bistros und Restaurants der Bahn, etwa 450 organisieren außerdem die Logistik. An acht größeren Standorten und drei kleineren. Nachgefüllt wird zwischendurch.
Ein Computersystem meldet, wenn der Bestand knapp wird. Im Normallfall fährt ein ICE erstmal mit acht Currywürsten los, wie Gruppenleiter Gregor Pliefke erklärt. Logistikarbeiter Wray schiebt Metallcontainer in den Zug. Er befüllt auch die Tiefkühler im Bordrestaurant, zum Beispiel mit Croissants. Die Tiefkühlung sei relativ klein. «Schwierig manchmal», sagt er. «Wie Tetris.»
Wenn Pliefkes Team einen neuen Zug belädt, wird er nicht einfach «aufgefüllt», sondern «behandelt». So nennen sie das. Alle 48 Stunden werden Speisewagen auch komplett ausgeräumt, Haltbarkeitsdaten gecheckt und Produkte wieder aufgeladen. Das sei nicht wie im Vorratsschrank zuhause, wo man dann sehe: «Oh Gott, fünf Tüten Mehl, wann haste die gekauft?», sagt eine Bahnsprecherin.
In den Zugabteilen wird nicht nur gegessen, sondern es fließen auch Getränke. Fast zwei Millionen Liter Kaffee verteilte die Bahn im vergangenen Jahr. Und rund 120.000 Sektflaschen wurden verkauft, aber von der kleinen Sorte. In den Nachtzügen seien früher auch große Flaschen Wein angeboten worden, sagt Pliefke. Aber das war früher.
(dpa)