Berlin – Nach dem weitgehenden Flugverbot für das Mittelstreckenflugzeug Boeing 737 Max droht Passagieren in Deutschland und Europa vorerst kein Chaos bei Reisen.
Experten erwarten zunächst keine größeren Beeinträchtigungen im Flugverkehr. Die Verunsicherung war anfangs groß, nachdem am Sonntag in Äthiopien bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate ein
Boeing-Jet vom Typ 737 Max 8 abgestürzt war.
Nur geringe Einschränkungen in Deutschland
An deutschen Flughäfen gab es am Mittwoch nur geringe Einschränkungen. In Frankfurt am Main waren von dem Flugverbot lediglich zwei Flüge betroffen. Bei anderen deutschen Flughäfen gab es bisher keine Auswirkungen.
Nach Einschätzung von Experten sind derzeit ausreichend Ersatzflugzeuge und Reserven vorhanden, so dass größere Störungen im Flugbetrieb verhindert werden dürften. Das erst 2017 eingeführte Modell sei noch nicht so stark im Markt vertreten, sagte der Airline-Berater Gerd Pontius.
«Wir befinden uns noch in der Wintersaison, in der es ausreichend Flugzeuge gibt», meinte auch Gerald Wissel von der Airborne-Beratung. Es komme jetzt darauf an, wie schnell der Unfall aufgeklärt und die richtigen Folgerungen daraus gezogen werden könnten. Sollte sich das Flugverbot bis in die Osterferien ziehen, werde es jedoch erste spürbare Kapazitätsprobleme geben, meinte der Experte.
Tuifly und Norwegian
Der Tui-Konzern will den Ausfall seiner Boeing-737-Max-8-Flotte vor dem Oster-Reiseverkehr mit Charter-Flugzeugen ausgleichen. «Für Deutschland ist das Thema ja irrelevant, weil wir hier noch keine Maschinen dieses Typs haben – in den anderen Ländern werden wir jedoch die Kapazitäten anpassen müssen», sagte Tuifly-Sprecher Aage Dünhaupt. Zur Frage möglicher Kompensationszahlungen für den Ausfall wollte sich das Unternehmen nicht äußern. Die vom Hersteller Boeing in Aussicht gestellten Updates für eine möglicherweise problematische Steuerungssoftware der Boeing 737 Max 8 werden in den nächsten Tagen erwartet und sollen dann auf die Bordcomputer geladen werden.
Die hoch verschuldete norwegische Fluggesellschaft Norwegian pocht hingegen auf Schadenersatz. Es sei offensichtlich, dass die Kosten, die durch das vorübergehende Startverbot für brandneue Flugzeuge entstünden, von denjenigen getragen werden müssten, die diese Maschinen hergestellt hätten, sagte ein Unternehmenssprecher der Deutschen Presse-Agentur. Norwegian versuche, die Ausfälle mit anderen Flugzeugen, Umbuchungen und möglichst wenig Unzulänglichkeiten für die Passagiere aufzufangen.
Zunächst für drei Monate
Die Sperre des deutschen Luftraums für das Boeing-Modell 737 Max gilt seit Dienstag zunächst für drei Monate. Bis einschließlich 12. Juni dürfe kein Flugzeug des Typs Boeing 737 Max 8 und Max 9 über der Bundesrepublik fliegen, erklärte die Deutsche Flugsicherung (DFS) in Langen bei Frankfurt. Die Sperre kann bei neuen Erkenntnissen aber auch früher wieder aufgehoben werden.
Der internationale Flugverkehr wird aus Furcht vor weiteren Zwischenfällen zunehmend in Mitleidenschaft gezogen. Am Dienstagabend verfügte die
europäische Luftfahrtbehörde EASA eine Sperrung des kompletten Luftraums. Das Verbot gelte als «Vorsichtsmaßnahme» für den ganzen europäischen Luftraum für die Typen Boeing 737 Max 8 und Boeing 737 Max 9, erklärte die EASA. Vorher hatten bereits Länder rund um den Globus mit China an der Spitze Flugverbote erteilt, am Mittwoch folgten weitere Länder.
Lediglich in Nordamerika stellten sich die zuständige US-Luftfahrtbehörde FAA sowie Kanada hinter den Boeing-Konzern und sprachen zunächst keine Startverbote aus. Laut US-Medienberichten soll es ein Telefonat zwischen Boeing-Chef Dennis Muilenberg und US-Präsident Donald Trump gegeben haben, in dem das Unternehmen sich gegen ein Startverbot ausgesprochen habe. Eine offizielle Bestätigung gab es zunächst nicht. Flugbegleiter und Politiker protestierten und warben dafür, baugleiche Maschinen vorsichtshalber auf dem Boden zu lassen.
Keine kostenlose Umbuchung bei Angst vor Flugzeugtyp
Nach einem Flugzeugunglück steigen manche Passagiere mit einem mulmigen Gefühl in ein Flugzeug desselben Typs. Angst alleine ist aber kein Argument, wenn es um eine Umbuchung auf einen anderen Flug oder den Rücktritt von einer gebuchten Reise geht, sagt Reiserechtler Paul Degott.
Gibt es allerdings Hinweise darauf, dass das Unglück mit der Technik des konkreten Flugzeugtyps im Zusammenhang steht, könnten Passagiere es auf einen Rechtsstreit ankommen lassen. «In diesem Fall ist das Argument stärker als nur ein dumpfes Angstgefühl», so Degott. Ein Anspruch ergibt sich daraus zwar nicht automatisch. Jedoch stünden die Chancen gut, einen Rechtsstreit gegen Fluglinie oder Reiseveranstalter zu gewinnen, schätzt der Reiserechtler. In einem solchen Prozess könnten Flugreisende etwaige zusätzliche Kosten geltend machen.
(dpa)