Wer nach Odessa am Schwarzen Meer als Tourist reist, bekommt von den erschütternden Zuständen der ukrainischen Stadt nichts mit. Doch das Thema AIDS ist seit langem ein großes Problem. Bevölkerung und Besucher leben hier größtenteils in zwei komplett verschiedenen Welten.
In Odessa sollen rund 150.000 der knapp eine Million Einwohner mit HIV infiziert sein, Tendenz steigend. Damit gehört die Stadt zu den Orten mit der europaweit höchsten Infektionsrate. Doch welche Ursachen hat die unendliche Epidemie?
Arbeitslosigkeit und Drogen in Odessa
Die Probleme begannen 1991 mit der Auflösung der damaligen Sowjetunion. Dieser Umbruch sorgte für eine hohe Arbeitslosenquote im ehemaligen Sowjetstaat Ukraine. Zahlreiche Bergwerke und Fabriken mussten geschlossen werden und das Gesundheitssystem brach zusammen. Bis heute bietet sich vielen Odessiten keine berufliche Perspektive. Sie beginnen aus Langeweile, Gleichgültigkeit oder fehlender Sozialkontakte zu Drogen zu greifen.
Infektion über Spritzen und Prostitution
Mischungen aus Ecstasy und Spiritus, Heroin oder Opiate spritzen sich die Junkies und teilen sich oft eine Spritze. Über die verunreinigten Spritzen infizieren sie sich mit HIV, ein auch aus Deutschland bekanntes Problem. Dazu kommt allerdings, dass sich viele Frauen prostituieren, um Geld zu beschaffen und dabei nicht immer verhüten. Das Kondom wird zu oft als „unmännlich“ angesehen. Sozialarbeiter, wie Erik, versuchen in Nongovernmental Organisationen Neuinfektionen in der Ukraine zu verhindern und geben frische Spritzen und Kondome aus, besuchen die Junkies auch zu Hause und klären über Tuberkulose und AIDS auf.
Autorin berichtet vom Schweigen
In dem Buch „[Spid] Aids in Odessa“ begleitete die Fotografin und Autorin Andrea Diefenbach zwei Monate lang mehrere HIV-Infizierte zwischen 20 und 40 Jahren in der Millionenstadt. Sie berichtet unter anderem vom Verschweigen der Krankheit in der Bevölkerung. Denn Infizierte hätten unter starker Stigmatisierung und Ausgrenzung zu leiden. Dazu ist es unüblich, einen AIDS-Test zu machen, wie es in anderen Nationen schon lange alltäglich ist, denn Krankenhäuser scheuen das Risiko einer Infektion und lehnen HIV-positive Patienten ab. Die Politik leugne zwar das Problem der explosionsartigen Infektionsrate nicht mehr, doch finanzielle Unterstützung gebe es nicht, auch viele NGOs seien korrupt.
Das Buch ist zum Beispiel unter amazon.de erhältlich.
Die neue Epidemie im Film
U kraina kommt aus dem Russischen und bedeutet soviel wie „am Rande“. An den Rand des Abgrunds ist auch der Journalist Karsten Hein mit zwei Filmen getreten. 2004 wurde mit „So wollen wir nicht sterben“ die weltweit erste Dokumentation über die neue AIDS-Epidemie in Osteuropa ausgestrahlt. 2010 setzte sich Heine mit „Am Rande“ ein zweites Mal mit der Thematik auseinander und stellt in sechs Kapiteln Ursachen, Alltag und Leiden der Betroffenen dar. Die Filme können auf der jeweiligen Website bestellt werden.
Gerade in Zeiten der Globalisierung, in denen die Welt ein Stück zusammenrückt, sollten Reisenden zwar ihre Freiheiten nutzen, doch dabei auch die Augen vor Problemen im jeweiligen Land nicht verschließen.