La Paz – Südamerika gleicht heute eher einem Eisenbahnmuseum. Hochgeschwindigkeitszüge? Fehlanzeige. Züge wie der Andean Explorer in Peru oder der Tren a las Nubes («Zug zu den Wolken») von Chile nach Argentinien lassen viel Nostalgie aufkommen.
Durch das Massiv der Anden wurden Ingenieure hier vor kaum lösbare Aufgaben gestellt, heute ist der Bus neben dem Flugzeug das Verkehrsmittel Nummer eins. Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts war das noch anders. Es war die Blüte des Bahnbaus in Südamerika.
So lieferte zum Beispiel die längst geschlossene Maschinenfabrik Esslingen die Lokomotiven für eine Zahnradbahn, die durch mehrere Tunnel vom Pazifik in Chile über 4256 Meter Höhe bis in das bolivianische La Paz fuhr. Heute endet im Bahnhof La Paz nur noch eine Seilbahnlinie, die von der Nachbarstadt El Alto hierhin führt – mit Panoramablick auf die Anden einschwebend.
Sinnbildlich für das Ende des großen Bahnzeitalters stand bisher der Zugfriedhof mit verrostenden Loks am Salzsee von Uyuni in Bolivien. Auf einer Lok steht dort: «Así es la vida» – «So ist das Leben».
Geht es nach Boliviens Staatspräsident Evo Morales, soll es nun aber eine große Renaissance geben, mit einem noch nie da gewesenen Projekt. Eine rund 3750 Kilometer lange Strecke vom brasilianischen Hafen in Santos durch das tropische Tiefland Boliviens, über 4000 Meter die Anden hoch und dann wieder hinunter zum peruanischen Ilo, um Güter schneller Richtung Europa und Asien zu bekommen. Die Kosten werden auf etwa 14 Milliarden US-Dollar (13 Mrd Euro) geschätzt.
«Wir sind überzeugt, dass der Bioceanico-Zug zwischen Brasilien, Bolivien und Peru der Panama-Kanal des 21. Jahrhunderts wird», sagt Morales. Und nun wurde eine riesige Hürde genommen: Brasilien hat bei einem Planungstreffen mehrerer Staaten erstmals seinen Willen zur Mitarbeit kundgetan. Den Zuschlag bekommen wollen deutsche und Schweizer Unternehmen. Von Anfang an begeistert von dem Projekt war der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Rainer Bomba, der auch in La Paz anwesend ist. Im Januar 2016 gab es erste Planungen.
Nun gewinnt die Idee dieses Jahrhundertprojekts weiter an Kontur. Bomba hat rund 40 Unternehmer in seiner Delegation dabei: Vertreter der Deutschen Bahn, des Tunnelmaschinenbauers Herrenknecht, von Molinari-Rail aus der Schweiz und Siemens. Zudem von der staatlichen KfW-Bank. «Ohne Geld geht nichts, das wissen wir alle», so Bomba.
Auch für ihn wäre diese Querung vom Atlantik zum Pazifik eine Art «Panama-Kanal auf Schienen». Die Chancen auf Realisierung stünden gut. Zudem gebe es am Weltmarkt für solche Infrastruktur-Projekte, «die durchdacht sind und später mal ordentliche Rendite abwerfen», gerade auch gute Finanzierungsmöglichkeiten. Geplant sei eine Trasse für Personen- und Güterverkehr. Gerade Agrarprodukte und Rohstoffe könnten schneller und günstiger in andere Weltregionen transportiert werden, als wenn man mit dem Schiff entweder im Norden durch den Panama-Kanal oder rund um Kap Hoorn an der Südspitze Südamerikas fahren muss. Mindestens 8000 Arbeitsplätze könnten hier entstehen.
Bolivien will so auch unabhängiger von chilenischen Häfen werden – im Salpeterkrieg (1879-1884) hatte das Land den Meerzugang zum Pazifik an Chile verloren, ständig gibt es Streit um die Nutzung der Häfen. Bomba ist sich der ganzen technologischen Herausforderung bewusst, an der viele Ingenieure vor über 100 Jahren verzweifelten. «Wir müssen die Anden überwinden, das machen wir nicht im Eselsweg, sondern mit dem Einsatz von Hochtechnologie. Wir müssen Tunnel bauen, deshalb habe ich Herrenknecht mit dabei.» Das Unternehmen hätte auch den Gotthard-Tunnel geschafft. Doch der Ozean-Express hat einige Haken.
Haken 1: Die Finanzierung ist völlig unklar. Bolivien, das jahrelang prächtig am Erdgasexport verdiente und sich damit das größte urbane Seilbahnnetz der Welt in La Paz leistete (gebaut vom österreichischen Unternehmen Doppelmayr), leidet unter den gesunkenen Einnahmen. Ob und wie sich andere Staaten finanziell beteiligen, ist noch unklar.
Haken 2: Es gibt bereits ein Parallelprojekt eines Zuges zwischen den Ozeanen von China und Brasilien, an Bolivien vorbei, nach Peru. Es würde durch das Amazonasgebiet führen – es ist unklar, ob Brasilien China nun einen Korb geben wird. Oder ob China versuchen wird, die Europäer beim anderen Projekt mit günstigeren Preisen auszustechen.
Haken 3 – Es fehlt fast die komplette Infrastruktur, das Schienennetz in Bolivien ist vor allem in Meterspur gebaut, noch nicht einmal auf einem Drittel der geplanten Strecke gibt es bisher Trassen. Und bei Brasilien weiß man nicht, wie belastbar die Zusage ist. Mangels Geld wurde dem bisher keine Priorität eingeräumt. Das Land ist in einer tiefen Rezession und verkauft gerade lieber Flughäfen, um Geld reinzubekommen – darunter zwei an den Frankfurter Betreiber Fraport.
Bomba sieht sich in einer Makler-Rolle. Vielleicht kann ja auch Kanzlerin Angela Merkel helfen, für das Frühjahr waren eigentlich Regierungskonsultationen mit Brasiliens Präsident Michel Temer und seinem Kabinett in Berlin geplant. Es gibt aber noch keinen Termin. Antreiber Bomba sagt, es gehe hier um eine einmalige Chance: «Es ist ein Jahrhundertprojekt, so wie seinerzeit der Panama-Kanal.»
(dpa)